Die Materialauswahl hat entscheidenden Einfluss auf die Funktionalität, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit eines technischen Produktes. Prozesse zur Materialauswahl umfassen eine systematische Analyse von Anforderungen, Eigenschaften und Lebenszykluskosten, um die jeweils optimalen Ergebnisse für spezifische Anwendungen zu erzielen. Die Sauberkeit von Materialien spielt in verschiedenen Industriezweigen (s. Tabelle 1) eine entscheidende Rolle, da sie einen wesentlichen Einfluss auf die Qualität von Produkten und Prozessen nimmt. Anwendungen aus diesen Bereichen finden häufig in streng regulierten Reinräumen statt, deren Klassifizierung in der DIN EN ISO 14644 geregelt ist. Sie gibt einheitliche Kriterien zur Kontrolle von Kontaminationen vor. Die Richtlinie VDI 2083 Blatt 17 definiert Kategorien für die Reinraumeignung von Werkstoffen und beschreibt Methoden zu ihrer Untersuchung.[1]
Tabelle 1: Branchenspezifischer Überblick über reinraumkritische Materialparameter [1]
Partikel | Ausgasung | ESD | Reinigbarkeit | Chemikalien-beständigkeit | |
Halbleiter-industrie | ++ | ++ | ++ | + | + |
Mikrosystem-technik | ++ | + | ++ | + | + |
Pharmazie | ++ | o | + | ++ | ++ |
Biotechnologie | + | + | o | ++ | ++ |
Medizintechnik | + | o | + | ++ | ++ |
Photovoltaik | + | + | + | o | o |
Nahrungs-mittel | + | + | o | ++ | ++ |
++ zwingend notwendig | + empfohlen | o nicht allgemein erforderlich, Einzelfallentscheidung |
Die Bildung von Feinstaub in unserer Umwelt ist maßgeblich bedingt durch die Abrasion von Materialien.[2] Nicht zuletzt deshalb müssen beispielsweise Fahrzeuge künftig Grenzwerte für den Abrieb von Bremsen und Reifen einhalten, um die Euro 7 Norm zu erlangen. Gleichermaßen ist Materialabrieb, der aus der Bewegung von Oberflächen gegeneinander resultiert, eine wesentliche Partikelquelle für Reinräume. Aus diesen Gründen greift man bei der Wahl der Konstruktionsmaterialien für z.B. Böden oder Wände auf optimal ausgelegte Varianten von Werkstoffen wie PVC, Epoxidharze oder Polycarbonat zurück. Produktionsprozesse in Reinräumen erfordern im Allgemeinen jedoch andere Materialien und Materialkombinationen. Die zum Einsatz kommenden Werkstoffe müssen nach ihrer Reinigung, der Exposition von Strahlung wie z.B. UV-Licht oder anderer prozessbedingter Einflüsse nicht nur die funktionellen Eigenschaften erhalten, sondern sie dürfen sich auch nicht in ihren Ausgaseigenschaften und ihrer Partikelemission verändern.
Tribologische Prüfungen untersuchen Reibung und Abrieb in Systemen sich gegeneinander bewegender Oberflächen. In der klassischen Tribologie werden im Allgemeinen Tests durchgeführt, bei denen hohe Geschwindigkeiten und signifikante Kräfte zu makroskopisch sichtbarem Abrieb führen. Diese Testszenarien sind für Reinraumanwendungen meist nicht repräsentativ, und sie sind vor allem nicht geeignet um feinen Partikelabrieb zu untersuchen. Daher wurde in einer Zusammenarbeit der Materiales GmbH mit dem Kompetenzzentrum der Tribologie der Hochschule Mannheim das Partikelemissionstribometer (PET) entwickelt.
Das Partikelemissionstribometer (PET)
Beim PET handelt es sich um einen tribologischen Prüfstand, welcher in Reinraumluftumgebung betrieben wird und von der Umgebung gekapselt ist. In diesem lassen sich tribologische Materialprüfungen in ball-on-disc (Kugel auf Scheibe) bzw. pin-on-disc (Stift auf Scheibe) Messgeometrie durchführen. Last und Geschwindigkeiten sind variabel einstellbar. Entstehende Partikel werden unmittelbar mittels vorgereinigter Druckluft aus dem Reibspalt in einen Solair 3100 Partikelzähler der Firma Lighthouse geleitet und dort registriert. Es werden sechs Partikelkategorien aufgezeichnet : >0,3 µm, >0,5 µm, >1,0 µm, >3,0 µm, >5,0 µm und >10 µm. Neben der Bestimmung der Partikelemission wird der Verlauf der Reibwerte des untersuchten Werkstoffpaares ermittelt.

Abbildung 1: Seitenansicht des PET und Ansicht des geöffneten Probenraums mit eingebauter Probe
Ein wesentlicher Vorteil ist die Einfachheit des Testaufbaus, denn Probekörper sind einfach fertigbar und eine Vielzahl an Tests ist in relativ kurzer Zeit durchführbar. So können theoretisch beliebige Materialkombinationen untersucht werden, und Erkenntnisse zu diversesten Fragestellungen gesammelt werden wie z.B.:
- Materialvorauswahl: Screening verschiedener Werkstoffe zur Reduktion auf die besten Kandidaten
- Qualitätskontrolle: Bewertung, ob gelieferte Oberflächen partikelfrei sind und ob die gelieferten Oberflächenqualitäten Partikelemission hinreichend vermeiden können
- Reinigung: Eignung bzw. Effektivität von Reinigungsprozessen (Medien, Ultraschall, etc.)
- Kompatibilität: Effekt äußerer Einflüsse wie Flüssigkeiten, Gase oder Strahlung
- Materialalterung
- Auswirkung von Beschichtungen
Die Messung
Zunächst werden Probenkörper passgenau präpariert, um sie später in das PET einzusetzen. In Abbildung 2 sind drei unterschiedliche Kunststoffe (Polyoxymethylen (POM), Polyetheretherketon (PEEK), Polyamid (PA) in entsprechender Form dargestellt. Ebenfalls dargestellt ist eine Stahlkugel, die in einen Pinhebel eingespannt wird und mit deren Hilfe eine definierte Kraft während einer Rotationsbewegung auf das Werkstück einwirken kann. Als gut verfügbares Kugelmaterial und gängiger Werkstoff wird häufig Edelstahl oder Wälzlagerstahl als Gegenlaufpartner für Kunststoffe eingesetzt, prinzipiell lassen sich alle als Kugel oder Stift fertigbare Materialien einsetzen. Oberflächen können wie geliefert untersucht werden, alternativ lassen sich definierte Zustände anfertigen.

Abbildung 2: Für das PET gefertigte Materialproben POM, PEEK, PA
Sämtliche Arbeitsschritte werden in einer Reinluftwerkbank durchgeführt, um eine externe Kontamination des Messsystems zu minimieren. Abbildung 3 zeigt die Reihenfolge der Arbeitsschritte einer Messung im PET.

Abbildung 3: Grundsätzlicher Ablauf einer Messung im Partikel-Emissions-Tribometer (PET)
Bevor die Proben in den Prüfstand eingesetzt werden, wird eine Hintergrundmessung des Systems durchgeführt, um die Grundbelastung des Prüfstandes zu ermitteln. Der Innenraum des Prüfstandes ist grundsätzlich so aufgebaut, das die Grundbelastung an Partikeln die Anforderungen eines Reinraumes der ISO-Klasse 3 erfüllt sind. Im nächsten Schritt erfolgt in der Regel die Ermittlung der Grundpartikellast auf der Oberfläche des Probenkörpers mit Hilfe einer Oberflächensonde.
Zeigt die Analyse mit der Oberflächensonde, dass die Kontamination im Erwartungsbereich liegt, wird der Probenkörper in das System eingebaut. Im Anschluss folgt die eigentliche Messungen im geschlossenen Messsystem unter voreingestellter Last der Kugel (bzw. des Stifts) und Geschwindigkeit der Scheibe.
Das Ergebnis
Das Ergebnis einer Untersuchung mit dem PET soll anhand von Tests mit den Polymeren PA, PEEK und POM exemplarisch dargestellt werden. Für diese Prüfung wurden die Polymere für eine bestmögliche Vergleichbarkeit nach dem Zuschnitt zur Scheibe auf einen Rauhigkeitsgrad von N5 – N6 (Ra zwischen 0,35 – 0,65 μm) gebracht. Gegenlaufkörper war Edelstahlkugel (1.4125) der Oberflächengüteklasse G5. Die Messung erfolgte bei 60 Umdrehungen/Minute und einer Kraft von 5 N. Der zeitliche Verlauf der Bildung von Partikeln der Größe > 0.3 μm ist in Abbildung 4 dargestellt, die Messung liefert identische Informationen auch für alle anderen fünf gemessenen Partikelklassen. Zur Absicherung der Ergebnisse werden im Allgemeinen drei Messungen je Material und Last-Geschwindigkeitskollektiv durchgeführt.

Abbildung 4: Summe der Partikel > 0,3 µm einer Messung von Materialproben (POM (grün), PEEK (rot), PA (schwarz))
Eine sehr starke Zunahme der Partikelbildung ist für PA zu sehen, und ebenso ein kontinuierlicher Anstieg für PEEK. Im Falle von POM bleibt die Partikelbildung über die Dauer des Experiments konstant auf niedrigem Niveau. Auf Basis der gesamten Daten kann, für ein gegebenes Last-Geschwindigkeits-Kollektiv, eine Klassifizierung in Anlehnung an ISO 14644-1 erfolgen, indem die Ergebnisse mit den Grenzwerten der ISO-Luftreinheitsklassen verglichen werden (siehe Tabelle 2 bzw. Abbildung 5). [3] Dafür werden die über die Messdauer gebildeten Partikeln mit dem durchgelaufenen Luftvolumen ins Verhältnis gesetzt. Die Bewertung erfolgt relativ zur Qualität der Druckluft im Prüfstand, welche im Rahmen einer Leermessung (Baseline) ermittelt wird.
Tabelle 2: Ermittlung einer Iso-Klasse aus den Daten bei einer Prüflast von 5 N und einer Umdrehungszahl von 60 rpm
Partikelsumme | Iso-Klasse | ||||||
> 0.3 μm | > 0.5 μm | > 1.0 μm | > 3.0 μm | > 5.0 μm | > 10.0 μm | ||
PA | 3648 | 1630 | 857 | 112 | 15 | 1 | 5,5 |
PEEK | 928 | 542 | 286 | 36 | 3 | 0 | 5 |
POM | 71 | 24 | 7 | 1 | 1 | 0 | 3,5 |

Abbildung 5: Einordnung von Werkstoffpaaren in entsprechende ISO-Klassen gemäß DIN EN ISO 14644 [2]
Ein vollständigeres Bild ergibt sich durch die Einbeziehung von Zusatzinformation. Dazu gehört die zeitliche Entwicklung des Reibwertverlaufs, dargestellt in Abbildung 6. Zum einen ist zu sehen, dass POM unter den gegebenen Bedingungen deutlich geringere Reibwerte als PEEK und PA aufweist – zum anderen, dass die Reibwerte für PEEK und PA nach dem Einlauf recht konstant verlaufen, wohingegen sie bei POM stetig ansteigen. Geringe Reibwerte wirken sich also erwartungsgemäß vorteilhaft auf die Partikelemission aus. Der Einlaufvorgang hat offenbar nur einen untergeordneten Effekt.

Abbildung 6: Zeitlicher Verlauf des Reibungskoeffizients der Materialien POM, PEEK und PA
De visuelle Inspektion der Laufflächen (vgl. Abbildung 7) ergibt, dass die Metallkugel deutlich tiefer in die POM Oberfläche eindrang, als dies bei den anderen beiden Werkstoffen der Fall war. Der ansteigende Reibwert lässt also sich mit einer fortlaufenden Vertiefung der Laufspur begründen. Offenbar kam es dabei aber vorwiegend zu einer Verformung der Oberfläche, und nur zu wenig Partikelabrieb – oder entstehende Partikel wurden unmittelbar in das Grundmaterial gedrückt. In jedem Falle fand während der Messung mit den größten visuellen Veränderungen die geringste Partikelemission statt.

Abbildung 7: Die Spurrinnenbildung durch PET-Messung
Zusammenfassung
Mit Hilfe des PET ist es möglich, mit geringem Zeitaufwand wertvolle Erkenntnisse über den Materialeinsatz im Reinraumumfeld zu bekommen. Dadurch wird die Validierung von Werkstoffen und Prozessen nicht nur beschleunigt, sondern im Vergleich zu alternativen Vorgehensweisen auch deutlich vergünstigt. Die Einfachheit des Aufbaus erlaubt die unkomplizierte Untersuchung auch ungewöhnlicher Materialkombinationen.
Für weitere Informationen kontaktieren Sie uns gerne. Sie erreichen uns per Email unter info@materiales.de oder telefonisch unter 040 / 572 567 35.
Literatur
[1] VDI 2083 Blatt 17, Reinraumtechnik – Reinheitstauglichkeit von Werkstoffen, Verein Deutscher Ingenieure
e.V., Düsseldorf, 2013.
[2] K. Li, K. Yu, Y. Zhang, H. Du, C. Sioutas und Q. Wang, „Unveiling the mechanism secret of abrasion emissions of particulate matter and microplastics”, Scientific Reports,Nr. 14, 2024.
[3] ISO 14644-1: 2015, Reinräume und zugehörige Reinraumbereiche – Teil 1: Klassifizierung der Luftreinheit anhand der Partikelkonzentration, Beuth Verlag
Die Artikel als PDF in deutscher und englischer Sprache sind hier zu finden.