Umgang mit Stoffen und Gemischen

Alles ist Chemie – ganz besonders im produzierenden Gewerbe. Ob ein Unternehmen Quietscheenten herstellt oder Hochleistungskomponenten für die Raumfahrt, Spezialchemikalien wie Detergenzien, Lösungsmittel und eine große Bandbreite von Additiven sind dabei unverzichtbar. Die gute Nachricht: Auch wenn Chemie den Ruf hat, zu knallen und zu stinken, explodieren tun die wenigsten Chemikalien. Die schlechte Nachricht: begleitet werden sie von einer unsichtbaren Wolke aus neuen Arbeitsabläufen, Vorschriften und Gesetzen.

In hunderttausenden Betrieben in Deutschland läuft in der Folge der gleiche Prozess ab. Zuerst bekommt ein einzelner Mitarbeiter eher zufällig den Auftrag, die rechtlichen Anforderungen zu managen. Bald hat jede Abteilung ihre ganz eigenen Abläufe, um den Anforderungen von Arbeitsschutz und Material Compliance gerecht zu werden – und niemand mehr einen Überblick. Schließlich fügt man sich ins Unvermeidliche: ein Unternehmen, das mit Chemikalien arbeitet, muss den Umgang mit Stoffen und Gemischen abteilungsübergreifend und durch einheitliche Prozesse managen.

Dabei gibt es zwei verschiedene Perspektiven, die in allen Prozessen berücksichtigt werden müssen. Für die eine blickt man nach innen. „Was muss getan werden, damit sich ein Arbeitnehmer mit diesem Gefahrstoff sicher auseinandersetzen kann? Dieses betriebliche Gefahrstoffmanagement umfasst die Auswahl eines geeigneten Stoffes, die Beschaffung und schließlich die Verwendung“, erklärt Katrin Meier-Kirchner, die für Materiales Unternehmen bei diesen Fragestellungen unterstützt. Hinzu kommt der Blick nach außen. „Bei der Materials Compliance dagegen geht es darum, das fertige Produkt für die breite Öffentlichkeit und auch die Umwelt sicher zu gestalten“, sagt die Chemikerin. „Man muss vom kleinsten Bauteil an nachweisen, dass das Gerät regelkonform ist.“

Auf den ersten Blick erscheinen diese Gebiete völlig unterschiedlich, doch sie stellen Unternehmen vor sehr ähnliche Anforderungen. Für beides gibt es umfangreiche gesetzliche Vorgaben: Regularien wie das Chemikaliengesetz oder die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) für den Umgang mit Stoffen im Unternehmen einerseits, andererseits bestimmen Europäische Verordnungen wie REACH, welche Stoffe in Verkehr gebracht werden können. Aus diesen leiten sich jeweils ganz praktische Fragen ab, wie die Vorgaben innerhalb des Betriebes und in den eigenen Prozessen umgesetzt werden. Schließlich muss ein Unternehmen rechtskonform dokumentieren, welche Stoffe es verwendet und in Verkehr bringt.

Die rechtlichen Vorgaben sind jedoch nicht nur unübersichtlich, sie können sich auch im Laufe der Zeit ändern. Ein ganz aktuelles Beispiel sind die „Ewigkeitschemikalien“ PFAS, für die auf europäischer Ebene derzeit über eine Regulierung beraten wird. Je nachdem, wie der dabei entstehende rechtliche Rahmen am Ende aussieht, hat das für verarbeitende Unternehmen unterschiedliche Konsequenzen. So müsste man dann erst einmal prüfen, ob ein fluorhaltiger Stoff überhaupt unter die neuen Regularien fällt, oder womöglich von anderen Gesetzen wie der POP-Verordnung erfasst wird.

Auch ein neu regulierter Stoff wird nicht sofort verboten. Es könnte mehrjährige Übergangsfristen geben oder gar Ausnahmeregelungen greifen – wichtig zu wissen für Unternehmen. „Wir haben zum Beispiel einen Kunden, für den wir solche Updates erstellen, welche seiner verwendeten Stoffe womöglich in Zukunft von den verschiedensten Regularien betroffen sind“, erklärt Meier-Kirchner.  „Dadurch kann der Kunde vorausschauend agieren und zum Beispiel so einen Stoff durch einen anderen ersetzen.“

Dieser Austausch von Stoffen, eine Chemikalie durch eine weniger problematische zu ersetzen, gehört zu den gesetzlich geregelten Pflichten von Unternehmen – sowohl im Hinblick auf Umweltfolgen, aber auch im Sinne des Arbeitsschutzes. Diese Substitutionspflicht stellt Betriebe vor besondere Herausforderungen. Meist lässt sich eine Chemikalie nur unvollständig durch eine andere ersetzen und die Umstellung macht zusätzlich Veränderungen in den Arbeitsabläufen erforderlich. Vor allem aber ist für eine solche Umstellung erhebliches chemisches und verfahrenstechnisches Fachwissen erforderlich, das in vielen Unternehmen nicht vorhanden ist.

Allgemein fehlten vielen Betrieben für die umfangreichen Anforderungen beim Umgang mit Stoffen und Gemischen das chemische Wissen und oft auch die Kapazität, erklärt Fabian Schüler, Geschäftsführer von Materiales und selbst Polymerchemiker. „Das betrifft weniger die chemische Industrie selbst. Die BASF zum Beispiel braucht unsere Hilfe eher nicht. Das Problem haben vor allem Unternehmen, die irgendetwas herstellen, das eigentlich nichts mit Chemie zu tun hat, die aber bei der Produktion Chemikalien nutzen.“

Vor allem das komplexe Chemikalienrecht sei für fachfremde Unternehmen schwer zu händeln, fügt Meier-Kirchner hinzu. „Unternehmen kommen zum Beispiel auf uns zu, damit wir sie bei der Gefährdungsbeurteilung zu Chemikalien unterstützen.  oder Betriebsanweisungen für die Gefahrstoffe erstellen: wie muss ich damit arbeiten, welche Schutzausrüstung muss ich anziehen?“ Hinzu kommen Dokumentationspflichten wie Sicherheitsdatenblätter, die Unternehmen nicht nur für die Arbeitnehmer vorhalten müssen – sondern auch für die Kunden, an die sie ihre Produkte weitergeben.

Tatsächlich existiert in vielen Betrieben bereits viel Erfahrung und Spezialwissen im Umgang mit Stoffen, die bereits sehr lange verwendet werden. Doch oft ist es auf verschiedene Abteilungen verteilt und nur teilweise nutzbar, um auf neue Ansprüche seitens des Gesetzgebers zu reagieren – insbesondere bei Fragen des produktbezogenen Umweltschutzes. „Wir hatten zum Beispiel ein Unternehmen, in dem die einzelnen Aspekte der Material Compliance schon in verschiedenen Abteilungen aufgegriffen wurden“, berichtet Meier-Kirchner. „Aber es fehlte die Kommunikation untereinander, wie der abteilungsübergreifende Prozess konkret abläuft, vom Informationseingang bis hin zum Produktdesign. Da muss man unterstützen, dass die vorhandenen Prozesse zu einem guten Umweltmanagement-System zusammengeführt werden können.“

Das ist umso wichtiger, weil in den großen Märkten EU, Asien und den USA unterschiedliche Gesetze und Nachweispflichten gelten. Ein Betrieb, der Zugang zu allen Märkten haben will, kommt nicht umhin, sich mit diesen unterschiedlichen Regularien zu befassen und sie bestenfalls schon beim Produktdesign zu berücksichtigen.

Neue Gesetze können nicht nur in neuen Märkten greifen, sondern auch ganz einfach, wenn sich ein neues Anwendungsgebiet eröffnet. Will zum Beispiel ein Unternehmen ein Produkt im Lebensmittelbereich einsetzen, greift sofort eine ganze Klasse komplexer Regularien, die meisten von ihnen deutlich strenger als die Vorschriften bei Gebrauchsgegenständen.

Chemikalien im Betrieb und den eigenen Produkten gesetzeskonform zu verwenden, ist deswegen besonders für kleinere Betriebe eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Vor allem aber ist betriebliches Gefahrstoffmanagement ebenso wie produktbezogener Umweltschutz und Material Compliance keineswegs etwas, das man einmal für einen Prozess umsetzt und dann ist man fertig. Im Gegenteil, der sichere Umgang mit Stoffen und Gemischen sei eher ein anhaltender Prozess, betont Materiales-Geschäftsführer Fabian Schüler.

„Manchmal muss man in einem bestehenden System intervenieren oder ganz neue Strukturen herstellen“, erklärt der Chemiker. Aber auch in einem funktionierenden System gebe es immer wieder Anpassungsbedarf. „Es kann sich auch eine Vorschrift geändert haben oder man nutzt einen neuen Stoff in der Produktion, so dass Prozesse angepasst werden müssen. Und dann gibt es natürlich die begleitenden Arbeiten, wie Sicherheitsdatenblätter zu erstellen, für die man ebenfalls Expertise und Kapazitäten braucht.“


Hier können Sie den Artikel als PDF öffnen oder als PDF herunterladen.

Here, you can open an Englisch version as PDF or download the English PDF version.