Die Bedeutung von Materialsauberkeit in der Werkstoffauswahl
Die Materialauswahl ist ein entscheidender Schritt in der Produktentwicklung und Ingenieurswissenschaft, der maßgeblich die Funktionalität, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit eines Produktes beeinflusst. In einer Zeit, in der technologische Innovationen und Umweltbewusstsein zunehmend an Bedeutung gewinnen, wird die sorgfältige Auswahl geeigneter Materialien zu einer komplexen Herausforderung. Der Materialauswahlprozess umfasst eine systematische Analyse von Anforderungen, Eigenschaften und Lebenszykluskosten verschiedener Materialien, um optimale Lösungen für spezifische Anwendungen zu finden. Dabei spielen sowohl technische Aspekte als auch ökologische und ökonomische Faktoren eine zentrale Rolle.
Zu Beginn einer Materialauswahl werden die spezifischen Anforderungen an das Material festgelegt. Dazu gehören technische Anforderungen, z.B. mechanische oder thermische Eigenschaften, funktionale Anforderungen wie z.B. chemische Beständigkeit, sowie ökonomische und ökologische Aspekte. Basierend auf den Ergebnissen erfolgt eine Recherche nach geeigneten Werkstoffen. Anhand dieser Suche werden potentielle Materialien identifiziert, die für eine detailliertere Analyse herangezogen werden. Mittels einfacher Modelltests werden zunächst die vielversprechenden Kandidaten aus der Vorauswahl extrahiert. In weiteren Untersuchungen nähert man sich immer näher der Zielanwendung an, und definiert den Kreis der infrage kommenden Materialien enger. Schließlich kann in einem finalen Feldtest die finale Prüfung und Qualifizierung erfolgen.
Die Sauberkeit von Materialien spielt in verschiedenen Industriezweigen eine entscheidende Rolle, da sie die Qualität und Leistung von Produkten maßgeblich beeinflusst. In der Lebensmittelindustrie ist die Sauberkeit von Materialien von größter Bedeutung, um die Sicherheit der Verbraucher zu gewährleisten und Verunreinigungen zu vermeiden. In der Medizinbranche ist die Sterilität von Instrumenten und Geräten entscheidend, um Infektionen zu verhindern und die Gesundheit der Patienten zu schützen. Auch in der Elektronik- und Halbleiterindustrie ist die Sauberkeit der Materialien von entscheidender Bedeutung, um die Funktionalität und Langlebigkeit elektronischer Bauteile zu gewährleisten. Dies zeigt, dass für eine ganzheitliche Betrachtung die Sauberkeit der Materialien ebenfalls im Materialauswahlprozess einbezogen werden muss. Anwendungen aus diesen Bereichen finden häufig in Reinräumen statt. Für diese gelten strenge Regularien hinsichtlich Sauberkeit. Die Normenreihe DIN EN ISO 14644 reguliert die Klassifizierung von Reinräumen und kontrollierten Umgebungen. Sie gibt einheitliche Kriterien zur Kontrolle von Kontaminationen vor. Materialien, die in Reinräumen Anwendung finden, müssen diese Kriterien erfüllen und dahingehend überprüft werden. Die VDI 2083 Blatt 17 beschreibt standardisierte Vorgehensweisen, um verschiedene Aspekte der Reinheitstauglichkeit für die Auswahl von passenden Werkstoffen zu untersuchen [1]. Die zu betrachtenden Parameter umfassen das Partikelemissionsverhalten, die Ausgasung, die ESD-Eigenschaften, die Chemikalien- & Korrosionsbeständigkeit sowie die Reinigbarkeit.
Partikel | Ausgasung | ESD | Reinigbarkeit | Chemikalien-beständigkeit | |
---|---|---|---|---|---|
Halbleiter-industrie | ++ | ++ | ++ | + | + |
Mikrosystem-technik | ++ | + | ++ | + | + |
Pharmazie | ++ | o | + | ++ | ++ |
Biotechnologie | + | + | o | ++ | ++ |
Medizintechnik | + | o | + | ++ | ++ |
Photovoltaik | + | + | + | o | o |
Nahrungsmittel | + | + | o | ++ | ++ |
++ zwingend notwendig | + empfohlen | o nicht allgemein erforderlich, Einzelfallentscheidung |
Partikelemission
Reinräume sind nach der DIN EN ISO 14644-1 nach ihrer Luftreinheit klassifiziert. Die Untersuchung der Partikelemission erlaubt daher Aussagen, ob eine Werkstoffpaarung für den Einsatz in einer bestimmte Reinraumklasse geeignet ist. Unter definierter und reproduzierbarer tribologischer Last wird die Konzentration der entstehenden Partikel für eine definierte Werkstoffpaarung bestimmt. Um eine verlässliche Messung zu gewährleisten muss eine kontrollierte Prüfumgebung mit niedriger Reinraumklasse und keinen Querkontaminationsquellen vorliegen, d.h. in einem offenen Reinraum sollten keine turbulenten Luftströmungen vorhanden sein und auch die Proben bzw. der Prüfstand müssen vor dem Experiment ausreichend gereinigt sein. Außerdem muss sichergestellt sein, dass sämtliche entstehende Partikel mittels eines optischen Partikelzählers ausgewertet werden.
Ausgasung
Neben der partikulären Verunreinigung können auch chemische Kontaminationen die Ursache einer fehlenden Reinheitstauglichkeit von Werkstoffen sein. Die Richtlinie beschreibt hierfür ein Prüfverfahren, dass einen Vergleich verschiedener Werkstoffe hinsichtlich ihrer Ausgasung von flüchtigen organischen Verbindungen ermöglicht. Die Untersuchung verläuft in zwei Schritten. Zunächst wird eine definierte Menge des Werkstoffs in einer Prüfkammer temperiert und die emittierten flüchtigen Verbindungen werden über ein Spülgas in ein Adsorptionsmedium überführt. Anschließend können die flüchtigen organischen Verbindungen mittels Thermodesorption aus dem Adsorbens gelöst und mittels GC/MS bestimmt werden.
ESD-Eigenschaften
Überall wo partikuläre Verunreinigung ein Problem darstellen, ist es essentiell die elektrostatischen Eigenschaften der eingesetzten Werkstoffe zu kennen. Tritt in einer Anwendung Reibung von Werkstoffen auf oder es wirkt ein elektrisches Feld auf die Werkstoffe, kann es zur elektrostatischen Aufladung kommen. Diese führt dazu, dass z.B. Partikel, die durch Reibung entstehen, am Werkstoff haften bleiben und später während der Anwendung unkontrolliert emittiert werden können. Je nach Anwendung des Werkstoffes muss daher zwischen antistatisch, elektrisch leitfähig, elektrisch ableitend und elektrostatisch isolierend unterschieden werden. Dafür werden Parameter wie der Oberflächenwiderstand oder der Durchgangswiderstand nach DIN EN 61340-5-1, DIN EN 1081 oder SEMI E78-0309 ermittelt.
Chemikalien- & Korrosionsbeständigkeit
In den verschiedenen Prozessen, die in Reinräumen oder zur Reinigung von Produkten oder Baugruppen durchgeführt werden sind die Werkstoffe verschiedensten Medien und Substanzen ausgesetzt. Daher betrachtet die VDI 2083 Blatt 17 den Aspekt der Chemikalienbeständigkeit und des Korrosionsverhaltens der Werkstoffe. Für die Prüfung werden die Werkstoffe in der entsprechenden Chemikalie für eine definierte Zeit gelagert und anschließend auf Veränderungen untersucht. Die Bewertung kann nach DIN EN ISO 2812-1 oder DIN EN 423 durchgeführt werden, dafür werden in der Regel visuelle Merkmale herangezogen. Es können aber auch Veränderungen von Werkstoffeigenschaften, wie z.B. Härte oder Zugfestigkeit bewertet werden.
Reinigbarkeit
Die in der VDI 2083 Blatt 17 beschriebene Vorgehensweise zur Überprüfung der Reinigbarkeit von Werkstoffen bezieht sich ausschließlich auf partikuläre Verunreinigungen an Werkstoffoberflächen. Um diese bewerten zu können muss eine Differenz vor und nach der Reinigung betrachtet werden. Dafür werden die Partikel vor und nach der Reinigung auf der Oberfläche in mehreren Größenbereichen gezählt. Die gemessene Partikelanzahl vor der Reinigung wird in Relation zur Partikelanzahl nach der Reinigung gesetzt, dadurch kann eine Reinigungseffizienz bestimmt werden, die bezogen auf ein Referenzsystem eine Einordnung zulässt. Zusätzlich können die Oberflächenreinheitsklassen nach der DIN EN ISO 14644-9 ermittelt werden, um eine Einordnung der Werkstoffe zu ermöglichen.
Materiales denkt Performance und Sauberkeit zusammen
Materialauswahlprozesse für den Einsatz im Reinraum stellen Unternehmen vor eine komplexe Herausforderung. Unsere Erfahrung in High-Performance Branchen wie der Halbleitertechnologie oder der Luft- und Raumfahrt hat uns gezeigt, dass die Kombination aus Performance und Sauberkeit mit fortschreitender Technologie immer bedeutsamer wird. Deshalb haben wir ein Test- und Bewertungskonzept für die Materialvorauswahl für Reinraumanwendungen in Anlehnung an die VDI 2083 Blatt 17 geschaffen. Auch zu individuellen Sauberkeitsanforderungen, wie z.B. Thematiken aus dem Bereich der chemischen Spurenanalytik beraten wir, und stellen die passenden Bewertungs- und Testkonzepte auf.
Mit unserer Expertise als Werkstoff- und Sauberkeitsspezialisten helfen wir dabei, Entwicklungsprozesse treffsicherer, zuverlässiger und schneller zu gestalten. Sprechen Sie uns gerne an.
[1] VDI 2083 Blatt 17, Reinraumtechnik – Reinheitstauglichkeit von Werkstoffen, Verein Deutscher Ingenieure e.V., Düsseldorf, 2013.
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